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Was heißt eigentlich „wissenschaftlicher Stil“?
Zwei zentrale Stilkriterien
„Stil“ heißt im ursprünglichsten und eigentlichsten Sinne die Art und Weise, wie man schreibt.
Derselbe Sachverhalt kann ganz verschieden zum Ausdruck gebracht werden – der Unterschied ist dann ein „stilistischer“.
Für eine wissenschaftliche Darstellung sind zwei Stilkriterien wesentlich: Präzision und Knappheit.
Präzision
Nehmen wir als Beispiel folgende umgangssprachliche Aussage:
Ich habe neulich gelesen, dass in Amerika fast 70 % der Leute zu dick sind.
Die Aussage ist gut verständlich, aber ungenau. Sie enthält zahlreiche vage Angaben („neulich“, „Amerika“, „fast“, „zu dick“), die Anlass zu Missverständnissen bieten.
Zentrales Ziel einer wissenschaftlichen Sprache ist es, Sachverhalte exakt und unmissverständlich auf den Punkt zu bringen. Das erreichen wir, indem wir eindeutig definierte Begriffe verwenden und in Bezug auf Ort, Zeit, Kontext usw. möglichst genaue Angaben machen.
In obiger Aussage bleiben z. B. folgende Fragen offen:
- Wann hast du das gelesen? (Rezeptionszeitpunkt)
- Wo hast du das gelesen? (Quellenangabe)
- Was ist mit „Amerika“ gemeint? Der gesamte Kontinent, Nord-/Südamerika oder nur die Vereinigten Staaten? (geographische Eingrenzung)
- Für welchen Zeitraum gilt diese Aussage? (zeitliche Eingrenzung)
- Wie viel genau sind „fast 70 %“? (exakte quantitative Angabe)
- Wer sind „die Leute“? (Eingrenzung der Stichprobe)
- Was bedeutet „zu dick“? Wer definiert das – und wie? (Begriffsdefinition)
Wenn wir in Bezug auf alle genannten Punkte so weit wie möglich präzisieren, könnte das Ergebnis wie folgt lauten:
Laut OECD waren im Jahr 2021 67,5 % der erwachsenen US-Amerikaner/-innen übergewichtig oder adipös. Als Übergewicht gilt hierbei gemäß WHO ein Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25,0 und 29,9. Von Adipositas wird bei einem BMI > 30 gesprochen.
Knappheit
Während es bei der Präzision darum geht, möglichst exakte und unmissverständliche Angaben zu machen, zielt die Knappheit darauf ab, das, was gesagt werden soll, so kurz und bündig wie möglich auszudrücken.
Zu diesem Zweck sollten alle Füllwörter, Redundanzen und überhaupt alles, was nicht unmittelbar zum Verständnis der Aussage beiträgt, gestrichen werden.
Zunächst wieder ein umgangssprachliches Beispiel, wie man es etwa in einem frei gesprochenen Vortrag zu hören bekommt:
Anschließend dehnte sich im Mitteljura das Meer dann eben auch immer weiter in Richtung Osten aus. Fast die gesamte osteuropäische Plattform wurde im Zuge dieser Überschwemmung mehr oder weniger vollständig von Wasser überflutet.
Die weitschweifige Darstellung enthält zahlreiche Redundanzen sowie Füllwörter und -wendungen, die in einer schriftlichen Darstellung stören:
- anschließend – dann
- fast – mehr oder weniger
- gesamt – vollständig
- Überschwemmung – von Wasser überflutet
- eben auch
- immer weiter
Ohne wesentlichen Informationsverlust lässt sich die Stelle daher wie folgt straffen:
Anschließend dehnte sich im Mitteljura das Meer in Ostrichtung aus. Fast die gesamte osteuropäische Plattform wurde dabei überflutet.
Auf die Balance kommt es an
Präzision und Knappheit sollten sich die Waage halten.
Erstere fordert, keine wesentlichen Informationen auszulassen, Letztere, keine unwesentlichen aufzuführen.
Bei dieser schwierigen Abwägung hilft es, sich immer wieder zu fragen, welche Daten und Fakten vor dem Hintergrund der vorliegenden Fragestellung essenziell und welche entbehrlich sind.
Zudem ist es sinnvoll, sich in seine Adressaten hineinzuversetzen: Welche Vorkenntnisse können bei den Leser/-innen der Arbeit vorausgesetzt werden und welche Aspekte bedürfen einer näheren Erläuterung?