Der sogenannte Nominalstil (vereinfacht gesagt: die Verwendung von Substativen statt Verben) ist in wissenschaftlichen Arbeiten und Sachtexten beliebt. Er klingt akademisch, seriös und „offiziell“ – hat aber auch seine Tücken.
Ein überzogener Nominalstil erweckt schnell den Eindruck von Papierdeutsch bzw. Beamtendeutsch, was nicht unbedingt als Auszeichnung zu verstehen ist. Zudem ergeben sich beim Häufen von Nominalausdrücken oft unbemerkte Redundanzen, die ein klarer Verstoß gegen die Forderung nach knappem und präzisem Ausdruck in akademischen Texten sind.
Zur Erläuterung ein Beispiel:
Wird ein Kind vernachlässigt, ist das Jugendamt zuständig.
Der verbale Bestandteil des ersten Satzes („vernachlässigen“) kann in einen nominalen Ausdruck verwandelt werden („Vernachlässigung“), und das ist stilistisch auch nicht weiter problematisch, sondern trägt zum oben beschriebenen „seriös-offiziellen“ Charakter der Aussage bei:
Der Sinn bleibt derselbe, auch wenn der Satz durch die Umstellung ein klein wenig länger geworden ist. So weit, so gut.
Vielen genügt das aber noch nicht. Aus „zuständig sein“ wird dann die „Zuständigkeit“:
Im Falle der Vernachlässigung eines Kindes liegt die Zuständigkeit beim Jugendamt.
Der Sinn ist immer noch derselbe, nur ist der Satz erneut länger geworden.
Treibt man dieses Spiel weiter, gelangt man zu einer Formulierung wie der folgenden:
Eine solche Aufblähung ist keinesfalls mehr zielführend, sondern wirkt gestelzt und verdunkelt die Klarheit der ursprünglichen Aussage.
Ähnlich verhält es sich im folgenden Beispiel. Eine einfache und klare Aussage wird durch einen überzogenen Nominalstil unnötig aufgebläht.
Problematisch ist hier neben dem überzogenen Nominalstil der Einsatz redundanter Substantive.
Wenn toxische Inhaltsstoffe „festgestellt wurden“, dann sind sie auch „vorhanden“. Die „Feststellung des Vorhandenseins toxischer Inhaltsstoffe“ ist also dasselbe wie die „Feststellung toxischer Inhaltsstoffe“.
Und wenn ein Kind vernachlässigt wird, dann „besteht“ diese Vernachlässigung notwendigerweise, sodass die Vernachlässigung eines Kindes mit ihrem „Bestehen“ gleichzusetzen ist.
Meiner Einschätzung nach wird der Nominalstil in akademischen Arbeiten eher zu viel als zu wenig eingesetzt; in drei von vier Fällen wäre eine verbale Formulierung vorzuziehen.
Darum gilt: Wenn möglich, Finger weg vom Nominalstil!
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